Leben im Palast des Nero

MARTIN BLUMÖHR´S RAFFINIERTES PARADOX:

KOMISCH, WILD, ORIGINELL UND VIRTUOS.

Durch die dunklen tief verschütteten Gänge des versunkenen Palasts des Nero irrt im Jahr 1490 der Maler Pietro Luzzi und entdeckt die phantastischen Malereien einer lange versunkenen Zeit: diesen dämmrigen Bilderspuk der unterirdischen Grotten nennen wir seitdem die GROTESKE.

AUGEN, BLUMEN, GRIMASSEN, SPIELZEUG und MÄRCHENLAND im UNENDLICHEN FLUSS aus verzerrendem Glibber und verrätselnder Verformung, auf- und abtauchend quillt in vielen Schichten die phantastische Lava eines seelischen Vulkans, wie Öl aus einer geborstenen Bohrstelle, nicht zu stoppen, als unendlicher Bilderstrom, als Tsunami steigender Fluten innerer Bilder, grotesk aus den Tiefen der Seele gleichsam wie damals in Nero´s versunkenem Palast.

Blumöhrs unendliche Bilderfolgen haben ein karnevalistisches Erzählmuster und erinnern an den Karneval und die Lachkultur des Mittelalters in den Theorien des Philosophen Michail Bachtin. Die lateinische Amtsprache repräsentierte die dogmatisch autoritären Herrschaftsmuster, gegen die subversiv, offen, humoristisch und parodistisch das anarchische Narrentreiben des bunten Volks und der Kinder revoltierten. Auch Blumöhr setzt lateinische Titel als verdeckte Anklage gegen Bildungs-Borniertheit und spießige Ordnungen über seine Bilderfolgen, deren Ideen er auf Zuruf von Passanten und Kindern in dämmrigen Großstadtunterführungen auf die grauen Wände malt.

Blumöhrs Groteske ist eine fantastisch verzerrte Wirklichkeit, ein Paradox aus oft missgestaltem Grauenvollen in Verbindung zum heiter kindlich Komischen.

MARTIN BLUMÖHR´S RAFFINIERTES PARADOX ist bunter Optimismus und subversive Rebellion, ist auflehnende Lachkultur durch Verzerrung, Verfremdung und Karikatur.

Die Kombination von derbem Humor und raffinierter Darstellungstechnik hat Tradition und erinnert an Gargantua und Pantagruel der verrückt klugen Romane des Francois Rabelais von 1530. Blumöhrs Blumen und Blüten sind Fleur du Mal, nur scheinbare Idylle, brüchig und ständig bedroht von Schock und Überraschung, sie verbarrikadieren den Vordergrund der Bilder und ziehen wie im Sog den Betrachter-Blick in die perspektivische Falle der tieferen Bildszenen.

WILDWUCHS sagt Martin Blumöhr, wildes, wucherndes, ungebändigtes, anarchisches, exotisches und bizarr regelloses Bilder-Panoptikum.

Dieses naturhaft ursprüngliche Dschungel-Wachstum ist vom Menschen nicht beeinflusste Entwicklung. Es meint den Wildwuchs der Kreativität, diese regellosen schöpferischen Prozesse, diesen Flow der freien Assoziationen, die jeder Rationalität, der Logik oder sogar der Vernunft widersprechen:

Wilde Natur stellt sich gegen heutige zivilisierte Technik- und Stadtwelten.

Chaos gegen Ordnung.

In der Werkserie Facial Digital , die technische Bildstörungen thematisiert, zeigt er virtuos und kulinarisch die Zersetzung des Medienbildes, eine Verherrlichung des Boykotts moderner Technik.

Dürrenmatt nennt die Groteske “das Gesicht einer gesichtlosen Welt”

Das Trommelfeuer der Bilder ist ein Bannzauber gegen die Angst, dass der kreative Strom der Bilder versiegen könnte.

Horror Vacui ist die Angst vor der Leere, die von Blumöhr als Delightful Horror (Edmund Burke 1800) lustvoll inszeniert wird durch Überfüllung, endlose Schichtungen, organische Verschlingungen, Verflüssigung und Auflösung und so zu einer tragischen Unordnung wird. Eine überraschende Akribie der Malweise, eine obsessive Arbeitswut schafft penible Genauigkeit, Präzision und demonstrative Pedanterie, die die Angst vor dem verschlingenden desorientierenden Bilderstrom gleichwohl zeigen.

Komisch, toll, wild, originell und virtuos:

ist er ein moderner Satiriker?

Professor Werner Kroener